Leserwunsch: Porträt Stadtoriginal

Der «Festredner» – ein Original aus Leidenschaft

Peter Gisler alias «der Festredner» im Archiv der Güüggali-Zunft. Sein Markenzeichen sind die markanten Orden, die er an sich trägt. (Bild: Sandro Portmann)

Unser 2’000. Community-Mitglied, Simon Hofstetter, durfte sich eine Geschichte wünschen. Er wollte mehr über die Luzerner Stadtoriginale lesen. Wir geben Einblick in das Leben des «Festredners». Er ist auf Du und Du mit den «hochkarätigen Herren» der Stadt Luzern.

Etwas blitzt schon von weitem in seiner Hand auf, als wir Peter Gisler treffen. Stolz dreht das Luzerner Stadtoriginal einen faustgrossen Orden in seiner Hand. «Krienser Maske» steht darauf. Eine Frau aus Kriens habe ihm diesen geschenkt. «Ich werde ihn bei meiner nächsten Rede tragen», sagt Gisler mit kindlicher Freude und legt sich den Orden um seinen Hals. Es ist nicht der einzige Orden, den er bei sich trägt. An seiner Jacke hängen mehrere, manche sind silbern, manche golden – und jeder hat seine eigene Geschichte. Auffällige Orden sind das Markenzeichen des Stadtoriginals. Es war der Wunsch unseres Lesers Simon Hofstetter, dass wir etwas über ein Stadtoriginal schreiben.

Vom Rüeblima zum Festredner

Besser bekannt ist Peter Gisler unter dem Namen «der Festredner». Er ist eines von 24 offiziellen Luzerner Stadtoriginalen, um die sich die Güüggali-Zunft Luzern liebevoll kümmert. Als Gisler 2007 in die Zunft aufgenommen wurde, hatte er aber noch einen anderen Übernahmen: «der Rüeblima». Der Name stammt von seinen Besuchen bei dem Luzerner Stadtoriginal Marie-Theres Eggermann, die jeweils im Sommer mit ihren Pferden durch die Stadt fährt. «Ich habe den Pferden immer Rüebli gebracht», erzählt Gisler und schmunzelt. «Als ich von weitem ‹Salut Theres› gerufen habe, drehten auch die Pferde ihren Kopf zu mir. Sie kannten meine Stimme und wussten genau, was ich für sie mitgebracht habe.»

«Besonders berührend sind seine Grabreden.»

Hans Pfister, Präsident der Güüggelizunft

Schon bald bekam der gesellige Gisler einen neuen Namen. «Bei Anlässen der Güüggali-Zunft hat niemand geredet, also habe ich damit angefangen, Reden zu halten», erinnert er sich. Seither kennt man den sprachgewandten Gisler als «der Festredner». Und macht seinem Namen alle Ehre. «Besonders berührend sind seine Grabreden», sagt Hans Pfiser, Präsident der Güüggali-Zunft. Dreimal hatte Gisler eine solche gehalten, weil ein Stadtoriginal verstarb. Das letzte Mal im November, als der «Schwanenvater», Seppi Wechsler, verstorben ist.

Wichtig ist, dass man gesund ist

Dass das Luzerner Stadtoriginal Urner Wurzeln hat, verrät nicht nur sein Nachname. Auch bei seinen Reden ist der Urner-Dialekt nicht ganz verschwunden. Etwa dann, wenn er vom «Ürnerland» erzählt. Aufgewachsen ist er aber in Obwalden, wo sein Vater 1947 Arbeit in einem Baugeschäft gefunden hatte. Anfang der 1960er-Jahren zog es den jungen Gisler wieder zurück nach Uri, wo er zwei Jahre im Hotel seines Onkels tätig war. Und es war auch die Arbeit, die Gisler nach Luzern führte. 1963 begann er eine Mauererlehre in Ebikon. Dort blieb er bis das Geschäft 1981 schliessen musste. Gisler aber blieb in Ebikon, wo er seither wohnt.

Obwohl er seit ein paar Jahren das Pensionsalter erreicht hat, arbeitet der «Festredner» noch als technischer Mitarbeiter in einem Pflegeheim. Seit 20 Jahren ist er dort – heute aber nur noch jeden Freitag. «Die meisten Personen kenne ich seit Jahren. Sie freuen sich, wenn ich vorbeikomme», sagt er. Sein genaues Alter möchte er nicht verraten. «Das Alter ist nicht so wichtig, wichtig ist, dass man gesund ist», so Gisler.

Eine Feier mit «hochkarätigen Herren»

Wenn Gisler spricht, wirkt er, als besitze er noch die Kraft für zwei. Voller Elan erzählt er Anekdoten, die ihm positiv in Erinnerung geblieben sind. Zum Beispiel die 30-Jahr-Feier der Güüggali-Zunft vor sieben Jahren. Die Feier fand im Stadthaus statt – «mit hochkarätigen Herren», wie Gisler fast ein wenig ehrfürchtig betont. An der Feier nahmen auch die Stadträte teil. Gisler hielt eine Rede. «Dank der Rede bin ich mit nun mit vielen Stadträten per Du», sagt Gisler stolz. Er muss kurz lachen. Denn die Polizei musste bei der Feier ausrückten. «Jemand von uns hat eine Tür aufgemacht, die er nicht hätte öffnen dürfen. Das hat einen stillen Alarm ausgelöst.»

«Paul Winiker grüsst mich immer, wenn ich in Kriens bin.»

Peter Gisler alias «der Festredner»

Der Festredner ist kein Einzelgänger. Zu den anderen Luzerner Stadtoriginalen hätte er gerne mehr Kontakt. Dieser beschränke sich aber oft nur auf die gemeinsamen Anlässe, welche die Güüggali-Zunft organisiert. «Das ist schade», sagt Gisler. «Ich bin immer unterwegs, aber ein paar Originale sieht man nie.» Gisler ist stolz, ein Stadtoriginal zu sein. Er schätzt es, wenn er auf der Strasse erkannt und angesprochen wird. «Ich bin mit namhaften Persönlichkeiten per Du. Das wäre nicht möglich, wenn ich nicht in der Güüggali-Zunft wäre», sagt Gisler. Er erinnert sich an eine Feier in Kriens, wo er unter anderem mit dem Krienser Gemeindepräsidenten Paul Winiker (SVP) duzis gemacht hatte. Das hat ihn beeindruckt. «Paul Winiker grüsst mich immer mit Namen, wenn er mich in Kriens sieht», sagt er stolz.

«Mit Interesse wird das Leben interessant»

Wer sich mit dem Festredner unterhalten möchte, hat gute Chancen, ihn in Kriens anzutreffen. Dort sei er oft am «leutschen» oder im Restaurant Kreuzbäckerei. Zudem ist Gisler in mehreren Vereinen aktiv, etwa im katholischen Arbeiterverein, im Schützenverein oder im Kolping-Verein. Seine Interessen sind vielseitig. «Ich habe grosse Freude an Feuerwehrwagen», sagt Gisler. Er sei zwar nicht in einem Feuerwehrverein aber kürzlich von einem eingeladen worden, bei ihnen eine Rede zu halten. Auch habe er Freude an Schlössern und Kirchen und bezeichnet sich selber als Kunstfreund. Er geniesst die Aufmerksamkeit. Mit einem Feuer in den Augen erzählt er von einem Interview, das er kürzlich zur Luzerner Lukaskirche geben durfte. «Es gibt immer etwas zu tun. Man muss Interesse zeigen für Verschiedenes. Dann ist das Leben interessant.»

«Es war eine kurze Rede, die gesessen hat»

Die letzte Rede hielt Gisler vor zwei Wochen, als das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) einen Beitrag über die Luzerner Stadtoriginale machte. «Es war eine kurze Rede, aber die hat gesessen», sagt er rückblickend. Er sei auf einen Stuhl gestanden und habe spontan eine Rede begonnen. Drei Minuten lang redete er über «Zusammenhalt, Freundschaft, die Güüggalizunft und eine heilige Fasnacht.» Handzettel habe er für seine Reden nie gebraucht, mit einer Ausnahme. «Es war eine schwierige Rede. Ich habe mir vier Wörter aufgeschrieben, damit ich den Faden nicht verliere», so Gisler.

Mit Stolz trägt er vier Orden an seiner Jacke. Zuhause bewahrt er noch einige mehr auf. Wie viele Orden er besitzt, kann er nicht genau sagen. «Es sind schon ein paar – aber nur schöne, die ich nicht wegwerfe. Wenn ein Orden nicht mehr glänzt, gebe ich ihn weg», sagt Gisler. Er schätzt, dass er rund 20 Orden besitzt. «Es sind mehr», widerspricht Hans Pfister mit einem Schmunzeln. 50 Orden treffe es wohl eher. «Aber nur die schönen Orden zählen. Sagen wir 25», schliesst Gisler bescheiden die Diskussion. Er wolle sich schliesslich nicht mit fremden Federn schmücken.

«Der Boden ist nicht mehr gemacht für Originale.»

Hans Pfister, Präsident der Güüggalizunft

Heute gibt es noch 24 Stadtoriginale. Und es werden immer weniger. Hans Pfister, Präsident der Güüggali-Zunft, erklärt warum: «Der Boden ist nicht mehr gemacht für Originale. Er bietet keinen Platz, um originell zu sein.» Nach und nach seinen die echten Beizen aus der Stadt verschwunden. «Heute gibt es nur noch das Doorzögli.»

«Natürlich war Angy Burri ein Stadtoriginal»

Klare Kriterien, die ein Stadtoriginal haben muss, um ein solches zu sein, gibt es nicht. Die Luzerner Originale würde durch ihre Originalität auffallen, durch ihr Benehmen oder ihre Kleider, erklärt Pfister den gemeinsamen Nenner. Und wie wird man aufgenommen? «Jemand schlägt eine andere Person als Stadtoriginal vor. Wir als Zunft schreiben die Person dann an, ob sie Lust hat, bei uns mitzumachen.» Der Festredner wurde beispielsweise von Marie-Theres Eggermann vorgeschlagen. Dann gibt es eine Art Probezeit von einem Jahr, wo man schaut, ob es für alle Beteiligten passt. Aber es gibt auch Grenzen. Zum Beispiel werde ein Säufer oder eine gewalttätige Person nicht aufgenommen. «Wenn jemand gewalttätig ist, ist er ein Verbrecher und kein Original», sagt Pfister.

Die Güüggali-Zunft wurde 1978 gegründet. Seither unterstützt sie ihre Originale in Notsituationen und organisiert verschiedene Anlässe, wie zum Beispiel ein Weihnachtsessen. Oftmals organisiert die Zunft nach dem Tod eines Originals auch dessen Beerdigung. Für viele ist heute unklar, ob der bekannte Stadtindianer Angy Burri ebenfalls ein Stadtoriginal war. Auf der Liste der Güüggali-Zunft ist er jedenfalls nicht aufgeführt. «Natürlich», sagt Pfister. «Er wollte zwar keines sein, aber jaja – er war ganz klar ein Stadtoriginal.» Am Anfang sei er einmal zu einem Treffen gekommen, aber in die Zunft habe er nicht gewollt.

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