Horbach: Kantonsräte prüfen Vorstösse

Selbst Schulschliessung ist kein Tabu

Oktober: Eine frühere Lehrerin der Sonderschule Horbach bricht das Schweigen. zentral+ berichtet über die betriebinternen Querelen und die Kündigungen von Lehrern. (Bild: zentral+)

Die Tagesschule Horbach steckt in der Krise. Dass die Schüler durch mangelhaft ausgebildetes Personal betreut werden, lässt Kantonsräte von links bis rechts aufhorchen. «Ich finde das untragbar», sagt ein SVP-Kantonsrat. Parteien werfen dem Kanton Unterlassungen vor und sprechen gar von einer Schulschliessung als letzter Konsequenz.

Zuerst hiess es, es gäbe keine Probleme. Nach Recherchen von zentral+ legte der Kanton Zug dann offen: An der Tagesschule Horbach mangelt es an ausgebildeten schulischen Heilpädagogen (SHP). Nur gerade zwei von sieben Lehrpersonen besitzen den Fachtitel, fünf befinden sich noch in Ausbildung. Das nehmen verschiedene Kantonsräte so nicht hin.

«Ich wusste nicht Bescheid über das Ausmass der Zustände», sagt SVP-Kantonsrat Moritz Schmid über die Personalsituation am Internat/Tagesschule Horbach (ITH). «Zuerst war ich überrascht, dass man mit Lehrpersonen so umspringt. Seit ich weiss, dass an der Schule auch zu wenige Fachkräfte tätig sind, finde ich das untragbar.» Schmid fragt sich, warum die kantonalen Behörden nicht mehr unternehmen.

«Das ist keine Übergangslösung mehr»

Kantonsrätin Esther Haas von der Alternative-die Grünen – sie ist Lehrerin am Gewerblich-industriellen Bildungszentrum (GIBZ) in Zug – sagt zur Situation an der ITH: «Der allgemeine Mangel an schulischen Heilpädagogen ist zwar bekannt. Aber dass eine heilpädagogische Schule wie die ITH über derart wenig ausgebildetes Fachpersonal verfügt, hat mich doch sehr überrascht.»

Wie es zum Personalmangel kam

Eine ehemalige Lehrerin vom Internat/Tagesschule Horbach (ITH) auf dem Zugerberg ging 2012 gegen die Gemeinnützige Gesellschaft Zug (GGZ) vor Gericht wegen missbräuchlicher Kündigung. Im Frühling 2014 kamen die Parteien zu einer Einigung. Die GGZ musste der Klägerin 15'000 Franken bezahlen. Die Klägerin gelangte nach Abschluss des Gerichtsfalls an die Öffentlichkeit. Die Recherche von zentral+ sowie der Redaktion vorliegende Dokumente zeigten auf, dass der Fall der Heilpädagogin kein Einzelfall an der Zuger Sonderschule war. Mehrere Lehrpersonen haben innerhalb von zwei Jahren die Schule verlassen, als Grund geben sie vordergründig einen Führungswechsel an.

Die Direktion für Bildung und Kultur des Kantons Zug bestätigte gegenüber zentral+, dass die Personalsituation auch heute, rund zwei Jahre nach der Kündigungswelle, immer noch bedenklich ist. Die Sonderschule beschäftigt nur zwei ausgebildete Heilpädagogen und kann damit das erforderliche Soll nicht erfüllen. Die übrigen Lehrpersonen befinden sich noch in der Ausbildung zu schulischen Heilpädagogen (SHP). Die ITH musste dem Kanton im Frühjahr einen Plan vorlegen, wie sie das Soll erreichen will. Bis 2016 soll die Lücke geschlossen werden.

Wenn die Schule als heilpädagogische Bildungseinrichtung gelte und dort Lehrer die fachlichen Anforderungen nicht erfüllten, fände sie das sehr erstaunlich, so Haas. «Vor allem, weil diese Situation schon seit langer Zeit bestehe. Das ‹Provisorium› wurde zum ‹Providurium›, zum Dauerzustand.»

Wenn vier Jahre lang schulische Heilpädagogen fehlten, sei das keine Übergangslösung mehr, so Haas, «dann müsste der Kanton eingreifen.» Der Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern erfordere neben dem Spezialwissen viel Erfahrung und eine hohe Sozialkompetenz, so Haas. «Heilpädagogen und Heilpädagoginnen in Ausbildung mögen mal mit einem Kleinpensum kurzfristig einspringen, aber doch nicht über Jahre und selbstverantwortlich.»

Hat der Kanton die Aufsichtspflicht erfüllt?

Wenn der Kanton auf das jährliche Controlling verweise, stelle sich die Frage, ob er sich nicht zu sehr aus der Verantwortung nehme. «Der Kanton hat doch die Aufsichtspflicht. Diese muss er wahrnehmen. Wenn innerhalb von zwei Jahren sechs Heilpädagogen die Schule verlassen, muss dies doch stutzig machen», sagt Haas.

Sie anerkenne zwar, dass es generell schwierig sei, die SHP-Stellen zu besetzen, das sei schweizweit bekannt. Doch sagt sie auch, dass laufend neue Fachleute ausgebildet würden. «Die ITH müsste proaktiv werden und beispielsweise schon in den Ausbildungsstätten Leute rekrutieren. Die GGZ müsste Auszubildenden in SHP die Möglichkeit geben, Praktika zu absolvieren.»

Was nun weiter auf politischer Ebene passieren könnte, schätzt Haas ähnlich ein wie ihre Kollegen im Kantonsrat: «Ein Vorstoss ist durchaus denkbar, muss doch sichergestellt werden, dass der Kanton bei der Qualitätssicherung die Fäden in der Hand hält.»

Als Nächstes in die Bildungskommission 

Der Präsident der Bildungskommission des Kantonsrats, Martin Pfister von der CVP, war über die Vorwürfe gegen die ITH vor der Veröffentlichung des Gerichtsfalls auf zentral+ ebenfalls nicht im Bild. Er sagt, dass die Personalsituation an der Schule die Politik sehr wohl interessiere. «Aus politischer Sicht stellt sich natürlich die Frage, ob die Aufsichtspflicht durch den Kanton genügend wahrgenommen wurde und ob die Leistungsvereinbarung erfüllt wird.» Falls diese nicht erfüllt wird, müssten gemäss Pfister Massnahmen ergriffen werden.

«Sollte die Leistungsvereinbarung nicht erfüllt werden, könnte das bis zu einer Schulschliessung führen», so Pfister. Er sagt aber auch, dass der Kanton viel Druck auf die ITH ausübe, damit die Pflichten erfüllt werden. Dennoch sagt er: «Wir werden das Thema ITH Horbach mit Sicherheit an der nächsten Sitzung der Bildungskommission besprechen.»

Obwohl er selbst keinen Vorstoss ankündigt, sagt er: «Ein nächster Schritt könnte sein, dass man dazu eine Interpellation einreicht, um zu klären, was es mit den Vorwürfen auf sich hat.» Für Pfister stellt sich in diesem Zusammenhang noch eine Grundsatzfrage: «Es geht auch darum, zu diskutieren, wie die Beziehung zwischen Kanton und privaten Anbietern von schulischen Leistungen aussehen soll.»

Bis 2016 die Lücke schliessen

Der stellvertretende Generalsekretär der Direktion für Bildung und Kultur, Lukas Fürrer, nimmt Stellung und sagt zur Rolle des Kantons: «Das Amt für gemeindliche Schulen hat das Problem im Frühjahr 2014 erkannt. Es forderte, dass ein Weg aus dieser Krise aufgezeigt werden muss. Das ist mit dem Plan auch geschehen.»

Dieser sieht so aus: Die ITH legte dem Kanton eine Zielvereinbarung vor, wie sie den nötigen Sollbestand von ausgebildeten Heilpädagogen erreichen will. Bis in zwei Jahren soll die Lücke geschlossen sein. 2015 wird eine Lehrkraft ihre Ausbildung in schulischer Heilpädagogik abschliessen, 2016 wären es fünf weitere (zentral+ berichtete). «Mit dieser Lösung können wir leben», sagt Fürrer.

«Mit dieser Lösung können wir leben.»

Lukas Fürrer, stv. Generalsekretär Direktion für Bildung und Kultur

Es sei ja auch so, dass es generell problematisch sei, schulische Heilpädagogen zu finden. «Wenn das ausschliesslich ein Problem der ITH wäre, würde der Kanton die aktuelle Situation so nicht akzeptieren.» Man müsse sehen, dass auch an öffentlichen Schulen in Zug nur 75 Prozent der SHP-Stellen besetzt seien. In Luzern seien es deutlich weniger. Fürrer ist zuversichtlich, dass das Ziel erreicht wird und betont: «Die ITH ist für unseren Kanton eine sehr wichtige Schule. Solche Plätze sind schweizweit rar.»

Moritz Schmid von der SVP lässt nicht gelten, dass es zu wenige Fachkräfte gebe. Sowohl die GGZ als auch der Kanton sagten als Entschuldigung, es sei schwierig, genügend Heilpädagogen zu finden, «umso schlimmer ist es doch, dass man jene, die man hat, so behandelt und verliert.» Der SVP-Kantonsrat prüft, ob seine Partei schon nächste Woche einen Vorstoss einreichen wird.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Falco Meyer
    Falco Meyer, 16.10.2014, 14:48 Uhr

    Vielen Dank für Ihren Kommentar.

    Dass Sie sich missverstanden fühlen, bedauern wir.

    Wir müssen als Journalisten davon ausgehen, dass eine öffentliche Person den Umgang mit Medien gewohnt ist. Und deshalb damit rechnet, dass sie auch zitiert wird, wenn sie gegenüber einer Journalistin in einem Recherchegespräch Aussagen macht.
    Wenn eine öffentliche Person in einer Sache nicht zitiert werden möchte, ist es üblich, dass sie das bei einem Recherchegespräch klarstellt.

    So hält es auch der Schweizer Presserat: http://ratgeber.presserat.ch/index.php?de_17-welche-regeln-gelten-bei-interviews-und-recherchegesprachen-1

    Unsere Journalistin Andrea Müller hat im Text nach bestem Wissen und Gewissen die Aussagen ihrer Gesprächspartner originalgetreu wiedergegeben.

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  • Profilfoto von Martin Pfister
    Martin Pfister, 15.10.2014, 19:32 Uhr

    Online-Medien haben den Vorteil, einen Artikel sehr direkt und schnell korrigieren zu können. Von dieser Möglichkeit mache ich hier Gebrauch:
    Nachdem ich mit der Redaktorin dieses Artikels am Telefon – sie erreichte mich in den Ferien – ein paar Gedanken ausgetauscht hatte, ging ich eigentlich davon aus, dass sie mich nicht zitiert. Wie kann ich einen Fall politisch kommentieren, den ich nur flüchtig aus einem online-Artikel in kenne? Eine Beurteilung allein aufgrund einiger dürrer medialer Anschuldigungen ist schlichtweg unseriös. Offensichtlich habe ich dies Andrea Müller zu wenig klar gesagt, und deshalb wiederhole ich es hier.
    Im Gespräch erklärte ich ihr, dass der Kanton für die Aufsicht der Tagesschule Horbach zuständig sei. Ich habe aber auch im Moment keine Anhaltspunkte, dass er dieser Pflicht nicht in genügendem Mass nachkomme. Selbstverständlich werde mich noch direkt bei den Behörden über diese Angelegenheit schlau machen. Wenn nötig könne man dies auch in der Bildungskommission besprechen. Davon dies auch wirklich zu tun, bin ich jedoch im Moment noch weit entfernt. Ich sehe zudem auch keinen Anlass, die Grundsatzfrage der Beziehung des Kantons zu privaten Anbietern von schulischen Leistungen zu prüfen. Zudem wird die kantonale Schulevaluation zusätzliches Know How im Bereich der Sonderschulung aufbauen. So zumindest ist es in einer pendenten Vorlage des Regierungsrats geplant.
    Kurz: Ich distanziere mich von den im Artikel mir in den Mund gelegten Aussagen. Solange ich nichts genaueres weiss, will ich mich nicht zur Partei eines arbeitsrechtlichen Konflikts machen. So attraktiv es für Politiker auch ist, in einem vermeintlichen Skandal schnell Position zu ergreifen, so sehr ist es auch ihre Aufgabe, politisch nur dann tätig zu werden, wenn sie sich vertieft und seriös mit den Fakten auseinander gesetzt haben.
    Danke für das Verständnis.

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