Die Schattenseite der Beliebtheit

Wenn der Ort der Stille zum Touristenmagneten wird

Hinterlässt einen guten Eindruck: Die Jesuitenkirche ist laut dem Online-Reiseportal «Tripadvisor» die beliebteste Sehenswürdigkeit der Schweiz. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Täglich besuchen in den Sommermonaten Hunderte Touristen die Jesuitenkirche. Und was sie da zu sehen bekommen, scheint ihnen zu gefallen. So sehr sogar, dass die Jesuitenkirche mit dem «Traveller’s Choice Award 2014» von Tripadvisor ausgezeichnet wurde. Doch wie viele Touristen verträgt der Ort der Stille und Besinnung?

Eine Reisegruppe trifft eben bei der Jesuitenkirche ein. Weitere Touristen stehen bereits auf dem Vorplatz. Von den Passanten, die sich durch die Touristentraube zu schlängeln versuchen, nehmen sie keine Kenntnis. Beeindruckt bewundern sie die barocke Kirche an der Reuss.

Egal um welche Uhrzeit: Diese Szene spielt sich täglich vor der Jesuitenkirche ab. Und das nicht ohne Grund: Erst kürzlich wurde die Jesuitenkirche zur beliebtesten Sehenswürdigkeit der Schweiz erkoren – von Tripadvisor mit dem «Traveller’s Choice Award 2014» ausgezeichnet. Das erstaunt, musste sich die Kirche doch gegen das berühmteste Wahrzeichen von Luzern behaupten: die Kapellbrücke.

Ein Mahnfinger für Ruhe

Die Top-Ten der beliebtesten Schweizer Sehenswürdigkeiten stammt vom Online-Reiseportal, das Millionen von Usern zählt. Diese können die Orte, die sie auf der ganzen Welt besucht haben, bewerten, Fotos hochladen und kommentieren. Aus diesen Meinungen stellt Tripadvisor jährlich die zehn beliebtesten Sehenswürdigkeiten vor. Es geht also nicht um Besucherzahlen, sondern um den Eindruck, der die Sehenswürdigkeit hinterlassen hat.

«Es ist ein architektonisches Meisterwerk, ein kirchengeschichtliches Denkmal, eine Stätte der Ruhe und Besinnung, ein Zeichen christlicher Kultur», schwärmt ein Besucher auf dem Reiseportal. Diese Begeisterung teilen täglich hunderte Touristen, die auf ihrer Reise einen Abstecher zur Jesuitenkirche machen. Auch angespornt durch die vielen positiven Bewertungen.

Doch damit verliert das Prädikat «Stätte der Ruhe und Besinnung» an Bedeutung. Wie viele Touristen verträgt der Ort der Stille? Wie ein Mahnfinger wirken da die beiden Plakatständer im Eingangsbereich der Jesuitenkirche. In verschiedenen Sprachen und bildlich illustriert weisen sie die Gäste darauf hin, leise zu sein.

Massnahmen gegen «Unverschämte»

Dieses Problem ist Hansruedi Kleiber, Präfekt der Jesuitenkirche bewusst. «Tatsächlich haben wir uns auch schon überlegt, mit welchen Massnahmen wir die Touristenströme regulieren können.» Hin und wieder müsse eingegriffen werden, wie Kleiber erzählt: «Bei Hochzeiten, die an einem Samstag stattfinden, schliessen wir die Gitter links und rechts im Vorraum.» Das funktioniere recht gut. «Weitere Massnahmen sind nicht geplant.»

Auch an normalen Tagen: Nicht immer wird Rücksicht auf die Menschen genommen, die hier Ruhe suchen. «In der Regel sind die Touristen höflich und haben Anstand», sagt Kleiber. Es gebe nur vereinzelt Ausnahmen. «Ganz selten hat es unverschämte Touristen, die den Gottesdienst stören. Zum Beispiel, wenn sie während der Messe nach vorne laufen, um zu fotografieren.»

Frei für alle

Drei der Top-Ten-Sehenswürdigkeiten in Luzern

Die 1666 erbaute Barock-Kirche ist laut dem «Travellers Choice Award 2014» des Reiseportals Tripadvisor die beliebteste Sehenswürdigkeit der Schweiz. Zum zweiten Mal stellt das Portal ein Ranking des jährlich vergebenen Awards vor. Die Jesuitenkirche konnte sich darin gegen Kapellbrücke, Bundeshaus oder dem Schloss Greyerz behaupten. Auffällig: Luzern ist gleich mit drei Sehenswürdigkeiten in den Top-Ten vertreten. Folgend das Ranking der beliebtesten Schweizer Sehenswürdigkeiten 2014:

1. Jesuitenkirche, Luzern
2. Kapellbrücke, Luzern
3. Schloss Greyerz, Greyerz
4. Castellgrande, Bellinzona
5. Fürstabtei, St. Gallen
6. Rathaus, Basel
7. Löwendenkmal, Luzern
8. Sauvabelin Turm, Lausanne
9. Bundeshaus, Bern
10. Eglise Russe, Genf

Bei grossen Kirchen und anderen Sehenswürdigkeiten im Ausland ist es nicht unüblich, dass Besucher Eintritt zahlen. Damit wird auch der Abnutzung und dem höheren Reinigungsbedarf Rechnung getragen. Einen solchen Schritt kann sich Kleiber für die Jesuitenkirche aber nicht vorstellen. «Das wäre auch gar nicht umsetzbar. Nein, die Kirche soll für alle frei zugänglich sein», sagt der Präfekt. Auch von einer übermässigen Abnutzung der Bausubstanz will er nicht sprechen. Die Jesuitenkirche sei in einem guten Zustand. «Wir tragen Sorge zu unserer Kirche.» Ebenso sei der Aufwand bei der Reinigung nicht unverhältnismässig. In der Regel werde die Kirche wöchentlich gereinigt.

Kapellbrücke «nicht nur touristisch»

Deutlich mehr Personen laufen täglich über die Kapellbrücke. Laut einer Erhebung des städtischen Tiefbauamtes aus dem Jahr 2012 wird das Luzerner Wahrzeichen täglich von 13’400 Personen begangen. Von einer Gebühr für Passanten will die Stadt aber nichts wissen. «Eintritt für die Brücke zu verlangen, ist für uns keine Option. Schliesslich ist die Kapellbrücke für die Bevölkerung eine wichtige Verkehrsverbindung und nicht nur eine touristische Sehenswürdigkeit», sagt Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen auf Anfrage.

Anders sieht es in Zürich aus. Das Grossmünster und Fraumünster sind mit dem Besucherandrang scheinbar überfordert. Wie der «Tages Anzeiger» schreibt, überlegt sich die Kirchenleitung deshalb, einzugreifen. Etwa damit, dass ab 2016 nur noch eine Touristengruppe auf einmal in die Kirche darf, nicht wie heute, wo bis zu drei gleichzeitig die Kirche besuchen. Weiter werde über eine Voranmeldung nachgedacht.

Kleiber dazu: «Ich kann mir vorstellen, dass die Münster in Zürich noch mehr von Touristen besucht werden.» Er weiss, dass nun eine ruhigere Zeit bevorsteht. «Am meisten Touristen verzeichnen wir unter der Woche von Frühling bis Herbst.» Ab November würden nur noch wenige Touristen die Jesuitenkirche besuchen.

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