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Christine Weber

Albtraum in Marokko

(Bild: chw)

Verschleppt in der Wüste, mit abgeschnittener Zunge in ein Fass aus Eisen gesperrt, verloren für immer. So kann es einem ergehen, wenn sich die Wirklichkeit mit einem Albtraum vermischt und man fiebrig in einer fremden Welt verschwindet.

Ich wälze mich im Bett, die Decken sind um und neben mich gewickelt, ein Haufen Stoff, den ich weg stossen und gleichzeitig über mich ziehen will. Meine Haut nass vor Schweiss und trotzdem friere ich, suche instinktiv die dicken Socken wieder, die ich vorher überhitzt abgestreift habe. Jetzt sind sie verschwunden in den Bergen von Decken und Tüchern, die zu Schlangen und Ungeheuern geworden sind in diesem düsteren Zimmer, diesem dunklen und feuchten Steinhaus irgendwo in den Gassen von Marrakesch.

Ein Nagelbrett mit unsichtbaren Wunden

Der Husten schüttelt mich seit Stunden, meine Rippen ein klapperndes Bündel aus Knochen, meine Lippen spröde und aufgerissen, der Rücken ein Nagelbrett mit unsichtbaren Wunden. Irgendwann ist ausgehustet und das ist fast noch schlimmer; so wie Kotzen auch einmal aufhört und sich nur der leere Magen dreht, wenn sogar die Galle schon ausgespuckt ist. So ist das auch mit dem Husten. Kaum habe ich rasselnd Luft geholt, schleicht sich der Schmerz hinten herum wieder ein und pocht jetzt an meinem Rücken, saugt sich dort fest, sticht irgendwo und überall zwischen Lendenwirbel und Schulterblatt, erstickt mir die Atmung rücklings. Ich verrenke meine geschundenen Glieder, kann den Schmerz so vertreiben, bis er von vorne wieder zuschlägt. Zerre tausend Kissen unter mich so, dass der Kopf hinten drüber hängt – durchgebogen wie ein gespannter Pfeil auf dem Folterbogen.

Einen Moment habe ich Ruhe. Kurzes Einnicken, ich weiss nicht wie lange, der Handgriff zur Uhr ist zu weit und es spielt keine Rolle, weil der Tag noch lange nicht anbricht. Dann dämmere ich weg, tauche erschöpft ein und stosse im Traum auf eine Geschichte von Paul Bowles. Und kein Aufwachen rettet mich davor: Ich bin im Traum dieser Wanderer aus der Erzählung «Eine ferne Episode». 

Eingesperrt und herum gerollt in einem Fass aus Eisen

Dieser Wanderer, der sich aufmacht in die marokkanischen Berge und dort in einem abgelegenen Tal auf eine vergessene Sippe von Berbern stösst; sie nehmen ihn gefangen, verschleppen ihn in die Wüste und schneiden im die Zunge ab. Sie stecken ihn in ein Fass aus Eisen, das sie vernageln und darin wird er hin- und her, hin- und her, hin- und her gerollt; wochenlang, monatelang, jahrelang und die Leute amüsieren sich bei seinem Anblick.

Mit der Zeit vergisst der Mann, wie das Denken geht und als sie ihn nach zehn Jahren aus dem Fass rauslassen und ihn in einer Stadt aussetzen, weil sie ihn nicht mehr brauchen können, nicht einmal zur Unterhaltung, ist der Mann komplett irr. Ein Irrer von vielen und keiner weiss, woher er kommt und es ist auch allen egal. Keiner erinnert sich, ob der Mann gestorben ist und auch Paul Bowles sagt nichts dazu. Im fiebrigen Schlaf quält mich diese Frage: Lebt er noch, der Irre? Oder bin ich das? Eingesperrt in einem zugenagelten Fass aus Eisen? Wächst meine Zunge wieder nach, falls mich jemand rauslässt? Und: Ist da überhaupt jemand, der mich rauslassen kann?

Glühende Hitze von oben, im Rücken das kalte Metall

Ich schrecke auf aus dem fiebrigen Traum. Und wundere mich, dass meine Zunge noch da ist, taste mit ihr den Zähnen entlang; doch – sie ist es wirklich. Meine Zunge liegt zusammen mit mir auf diesem Bett in diesem feuchten Zimmer.

Dunkel erinnere ich mich jetzt daran, dass ich den ganzen Nachmittag auf einem Eisenstuhl mit Rückenlehne auf der Terrasse verbracht hatte. Glühende Hitze von oben, im Rücken das kalte Metall. So muss ich mir diesen Husten, das Fieber und den seltsamen Traum eingefangen haben. Doch es war nur ein Eisenstuhl, kein Fass aus Eisen. Meine Zunge ist noch da und ich nur fiebrig an einem fremden Ort. Erleichtert verkrieche ich mich in den Decken und weiss: Ich werde hier nicht zugrunde gehen.

(Bild: chw)

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