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Hexenprozesse in der Zentralschweiz

Von Glarner und Zuger Hexen

Opfer eines Justizmords: zeitgenössisches Darstellung der Hinrichtung von Anna Göldi.

(Bild: zvg.)

Der traditionelle Austausch zwischen der Zuger und Glarner Regierung im Herbst bot weit mehr als Smalltalk, Speis und Trank: Ein Besuch im Anna-Göldi-Museum rief einige dunkle Kapitel der Zentralschweizer Geschichte hervor. Denn auch Zug hatte seine Hexen.

Man tut sich zuweilen schwer, wenn es gilt, ein Programm für Regie­rungsbesuche zusammenzustellen, das – der Bedeutung des Anlasses entsprechend – sorgfältig gestaltet daherkommt, mehrheitsfähig ist, in­tellektuell etwas hergibt und gleich­zeitig auch noch der Geselligkeit gerecht wird.

Vor dieser Heraus­forderung stand letztes Jahr auch der Staatsschreiber von Glarus, als er da­mit beauftragt wurde, anlässlich des Besuches der Zuger Regierung im Kanton Glarus ein Programm zu definieren. Hintergrund des traditio­nellen Anlasses war der gemein­same Beitritt beider Kantone zur Eidgenossenschaft im Jahre 1352; also vor 665 Jahren.

Als amtierende Frau Landammann durfte ich bei der Programmgestal­tung einen Wunsch anbringen und stiess mit diesem bei den Glarnern auf offene Ohren: Wir besuchten gemeinsam das neu eröffnete Anna-Göldi-Museum im historischen Hänggiturm in Ennenda.

Eingesperrt im Chaibeturm

Nachdem wir uns ausgiebig mit der «letzten Hexe» im Glarus beschäftigt hatten, durfte ich am Abend noch auf die Zuger Hexen zu sprechen kommen. Denn ja, auch die gab es, samt dazugehörigen, menschenverachtenden Prozessen. Dieses Kapitel Zuger Geschichte ist im Staatsarchiv gut dokumentiert.

Viele wurden unter Folter zu «Geständnis­sen» gezwungen.

Vorweg: Man redet ja gerne «vom finsteren Mittelalter», in welchem Hexen der Prozess gemacht wurde. Doch ganz korrekt ist dies nicht. Anna Göldi starb 1782 und die letz­te Zuger Hexe, Maria Petermann, wurde 1737 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sind das Daten aus dem Mittelalter? Nein, sie liegen im Zeit­alter der Aufklärung!

In Stadt und Amt Zug wurden zwi­schen 1559 und 1738 genau 175 Personen hingerichtet: 162 Frauen und 13 Männer. Eingesperrt waren sie im Chaibeturm beim Fischmarkt. Hier, in unmittelbarer Nähe des Rat­hauses, mussten die Angeklagten während des gesamten Prozesses in einem engen, dunklen und nur mit einem kleinen Luftloch versehenen Holzverschlag ausharren. Sehr viele von ihnen hat man – unter Andro­hung beziehungsweise Anwendung von Folter – auch zu «Geständnis­sen» gezwungen.

Zugs widerspenstige Frauen

Wie gesagt: Die Frauen waren klar in der Überzahl. In Zug hiessen sie – um die bekanntesten zu nen­nen – Katharina Kalbacher, Elisabeth Bossard und Maria Stadlin. Es wa­ren aufmüpfige und widerspenstige Frauen. Frauen, die sich nicht an ge­sellschaftliche Normen hielten und sich gegen die Obrigkeit auflehnten. Viele Frauen – ob in Zug, Glarus oder anderswo – wurden aber auch der Hexerei bezichtigt, weil sie in enger Verbindung mit der Natur standen oder über Kräuter Bescheid wussten.

Das Todesurteil stand im Prinzip zum Vorn­herein fest.

Die Geschichte von Anna Göldi ist besonders tragisch. Sie, die als Magd beim Glarner Arzt und Regierungsrat Johann Jakob Tschudi arbeitete, soll mehrmals Stecknadeln in die Milch einer Tochter Tschudis gezaubert ha­ben. Daraufhin wurde sie der Hexerei beschuldigt und angeklagt. Die Hintergründe für die Anklage dürften aber damit zusammenhängen, dass sie eine Affäre mit ihrem Dienstherrn Tschudi hatte. Dieser konnte bzw. wollte sich das Ende seiner Politkarriere wegen Ehe­bruch nicht leisten. Welch trauriges und anschauliches Beispiel, wie hier Herrscher die Justiz als Mittel zur Machterhaltung missbrauchten.

Ohne Recht auf Verteidigung

Das Schlimme an den Hexenprozessen war: Das Todesurteil stand im Prinzip zum Vorn­herein fest. Es gab kei­ne Rechtsvertretung und eine strenge Pressezensur. Leute, die im Ausland über den aris­tokratischen Machtmi­ssbrauch schrieben, wurden zu Landes­verrätern erklärt.

Nach der öffentlichen Ver­kündigung des Urteils übergab man in Zug die Verurteilten dem Scharfrichter. Dieser führte sie – begleitet von vielen Schaulus­tigen – zur Richtstätte bei der Schutzengel­kapelle, wo ihre letzte Stunde schlug. Wer mehr darüber erfah­ren will, dem sei der Beitrag «Hexenverfol­gungen in Stadt und Amt Zug» des Histo­rikers Philipp Bart im Kunstführer über das Zuger Rathaus aus dem Jahre 2009 empfohlen.

Schutz vor staatlicher Willkür

Mein Fazit? Wir müssen zu unserem liberalen und demokratischen Ge­dankengut Sorge tragen, dem Recht auf Verteidigung und Überprüfung eines gerichtlichen Urteils durch eine höhere Instanz. Ein rechtsstaatliches, korrektes Ver­fahren ist das wirksamste Mittel, um Menschen vor staatlicher Willkür zu schützen. Das müssen wir uns bei den Beschwerden und unserem «daily business» im Polit- und Ver­waltungsalltag immer wieder vor Augen führen. Wichtige Grundsätze dazu sind heute auch in Art. 6 der Konvention zum Schutze der Men­schenrechte festgehalten.

Ich fand es wichtig, dass die Zuger Regierung sich mit der Besichtigung des Anna-Göldi-Museums dieser The­matik angenommen und den Besuch in Glarus nicht nur zum Spazieren, Plaudern, fein Essen und Trinken genutzt hat. Die aktuelle Weltlage präsentiert sich zu düster, als dass gewisse Zusammenhänge zwischen Unrecht beziehungsweise Verletzung von Menschenrechten und Willkür ausgeblendet und ignoriert werden könnten.

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