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Ein kritischer Rückblick

Früher war alles besser!

Universität Luzern

Jeder hat einen wunden Punkt, sagt man. Meiner ist es, wenn jemand behauptet, dass früher alles besser war. Das machte mich bereits als Kind rasend, und es enttäuschte mich ein wenig, dass dieses Argument selbst an der Uni noch zu funktionieren scheint.

Jeder hat einen wunden Punkt, sagt man. Meiner ist es, wenn jemand behauptet, dass früher alles besser war. Das machte mich bereits als Kind rasend, und es enttäuschte mich ein wenig, dass dieses Argument selbst an der Uni noch zu funktionieren scheint.

Ständig passiert es mir, dass ich in Seminaren mit Dozierenden in Diskussionen gerate, die richtig ans Eingemachte gehen. Ich glaube, vom sokratischen Henkersmahl bis zur Sparpolitik des Kantons habe ich mich über fast alles gestritten und dabei oft verloren, seltener gewonnen, aber meist habe ich irgendwann, dem Frieden zu liebe, die Fünfe gerade sein lassen.

Die Gründe für solche Diskussionen sind so breit gefächert wie die Themen selber. Manchmal ist es mein Gerechtigkeitssinn, der eine Behauptung nicht stillschweigend erträgt, oder aber ich glaube wirklich, etwas besser zu wissen, was sich im Nachhinein auch als falsch herausstellen kann. Was mich aber von all den Gründen, warum man eine Diskussion mit einem Dozierenden starten könnte, am meisten provoziert, ist eine simple Attitüde, die einige – selbstverständlich nicht alle – Dozierende schon mal an den Tag legen.

«Ich fand es gemein, dass irgendein altes Semester daherkommen kann und meine Zeit schlechtreden darf.»

Obwohl sich Gestik, Mimik und Wortlaut im Einzelnen immer ein wenig unterscheiden, lässt sich das Ganze etwa folgendermassen darstellen: Nach einer relativ langen Zusammenfassung eines komplexen gegenwärtigen Problems räuspert sich der Dozierende, während er mit der Hand weg von seinem Kinn eine ausholende Bewegung macht und dabei in einer Selbstverständlichkeit erklärt, dass es solche Probleme früher nicht gab. Früher nämlich sei alles besser gewesen.

Ich war ein genervtes Kind

Bereits Grosseltern, Eltern, bärtigen weis(s)en Männern an Stammtischen, Lehrern, Lehrmeistern und sonstigen Nörglern nahm ich das nie ab. Schon als kleiner Junge machte es mich fuchsteufelswild und liess mich voller Euphorie gegen eine solche Abwertung der Gegenwart argumentieren. Ich fand es gemein, dass irgendein altes Semester daherkommen kann und meine Zeit gegenüber irgendeiner Vergangenheit schlechtreden darf, während ich schweigen muss, weil mir ja die Erfahrung fehlt.

Ich erinnere mich etwa an ein Gespräch mit einem meiner Primarlehrer auf einer Schulreise. Während der Zugfahrt von Luzern zurück nach Malters behauptete er mit der dazugehörenden Gestik und Mimik, dass der neue Bahnhof in Luzern nicht mehr dasselbe sei wie noch der alte. Früher hätte man noch Wert auf schöne Bauten gelegt, wo heute (also vor etwa zwanzig Jahren) alles irgendwie wüst sei.

Noch immer finde ich moderne Architektur oft sehr gelungen, und auch damals fand ich den Bahnhof in Luzern überhaupt nicht hässlich. Eher war er sehr imposant für mich, weil es da so viele Menschen hat, Rolltreppen und coole Loks. Das liess der Lehrer aber nicht gelten, da ich ja den alten Bahnhof gar nicht erlebt hatte. Erst als ich erwähnte, dass man – im Gegensatz zu früher – heute wenigstens Bahnhöfe bauen kann, die nicht so brandgefährdet sind, liess er locker und hörte kurzzeitig auf, über unsere Zeit herzufallen.

Die guten Erinnerungen

Es gibt wahrscheinlich viele Gründe, warum Menschen dazu neigen, die Vergangenheit der Gegenwart vorzuziehen. Sicher liegt es auch daran, dass man sich vor allem an die Sachen aus seiner eigenen Vergangenheit erinnert, die schön waren, während die schlechten Erfahrungen eher verdrängt werden. Das ist aus individueller psychologischer Sicht sicher gesund, schadet aber sehr vielen jungen Menschen, wenn dann der Umkehrschluss so gemacht wird, dass heute dafür alles schlecht ist.

«Ich glaube bloss, dass auch wir die Chance verdienen, unsere Zeit als spannend und gut zu erleben.»

Das nützt keinem etwas und ist von neutralem Standpunkt aus betrachtet auch schlicht und ergreifend falsch. Denn egal mit wem man redet, sobald man das Früher etwas konkreter definiert  haben möchte, kommen diese ins Straucheln. Auch die Dozierenden. Etwa wenn sie behaupten – was eine typische Behauptung ist –, dass Studieren früher einfacher gewesen sei. Wann genau bitte? Und für wen? Für die Frauen in den fünfziger Jahren? Für Leute, deren Eltern keine akademische Ausbildung hatten? Oder war es eben nur für den Einzelnen leichter und vielleicht auch deshalb, weil er früher jung war, dynamisch und voller Tatendrang?

Ich will auf keinen Fall behaupten, dass heute alles besser ist als früher, auch das liegt mir fern. Ich glaube bloss, dass auch wir die Chance verdienen, unsere Zeit als spannend und gut zu erleben. Dabei müsste eigentlich gar nicht immer verglichen und bewertet werden, besonders nicht von Dozierenden, die junge Menschen in ihrer besten Zeit vor sich haben.

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Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
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