SP-Ständeratskandidat sieht Luzern aktuell aussen vor

David Roth: «Ich habe nicht Zeit und Musse, den Polit-Clown zu spielen»

Bringt lieber politische Inhalte aufs Tapet, als Nespresso-Kaffee zu verteilen: David Roth. (Bild: ida)

David Roth strebt den Sprung ins Stöckli an. Der SP-Kantonsrat über Wahlkampf-Clowns, die Gründe, warum Luzern in Bern aussen vor blieb – und weswegen jemand, der eine aussenpolitische Öffnung ohne Lohnschutz anstrebt, ein «Totengräber» der offenen Schweiz ist.

Er war ein beliebtes Foto-Sujet als Kind. Ob gewollt oder nicht. SP-Kantonsrat David Roth wuchs wohlbehütet in einem Mehrfamilienhaus nicht unweit des Löwendenkmals auf, wohin vor drei Jahrzehnten vorwiegend japanische Touristen pilgerten, um den in Stein gemeisselten Löwen zu bestaunen.

Roth kletterte gerne mit seinen Brüdern und etwa 15 anderen Kindern aus dem gleichen Haus den Hang direkt neben dem Löwen hinunter – um sich vor den Linsen der Fotokameras der verdutzten Touristen wiederzufinden. «Die fragten sich bestimmt, was da für dreckige Kinder aus dem Gebüsch rannten», erzählt Roth heute grinsend, als wir ihn im Garten des Neubads auf eine Cola treffen. «Mein Gesicht ist bestimmt in Tausenden japanischen Fotoalben abgebildet.»

Sein Aktionsradius als Kind befand sich zwischen den Touristen und dem Fussballfeld im Gartenheim im Wesemlin. Heute ist Roth wohl eher ein «Neustadt-Gänger».

Von der Alt- in die Neustadt getrieben

Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum treibt David Roth politisch um. Vor drei Jahren zog es ihn selbst in die Neustadt. Gerade ums Eck des Neubads fand der Stadtluzerner eine günstige Wohnung. Heute wohnt er in einer 4er-WG mit Terrasse. Ein Stock darüber leben weitere Freunde von Roth. Er ist ein geselliger Typ, geht gerne mit den Menschen eins trinken und diskutieren.

Auch dann, wenn andere ein Problem mit ihm haben. Vor Jahren erhielt Roth anonyme Drohbriefe aus Sempach. Sogar Morddrohungen waren dabei. Roth lud kurzerhand zum Gespräch bei einem Bier in Sempach ein (zentralplus berichtete).

«Meiner Meinung nach muss man auch die heftigsten Differenzen ansprechen und ausdiskutieren», sagt Roth heute. «Gleicher Meinung muss man am Ende nicht sein.»

Roth will nicht den Clown im Politzirkus spielen

2008 bis 2011 im Grossstadrat, politisiert Roth nun seit 2011 im Luzerner Kantonsrat. Nun will er ins Stöckli. Und das will er erreichen «ohne Wahlkampf-Gags» und ohne «Effekthascherei mit lustigen Gefährten», wie er in einem früheren Bericht sagte (zentralplus berichtete).

«Nespresso-Kaffee zu verteilen, transportiert nicht so viel an Inhalt wie ein Arbeitspapier mit klaren, politischen Forderungen.»

David Roth, Luzerner SP-Ständeratskandidat

«Ich habe nicht Zeit und Musse, den Clown im Politzirkus zu spielen», sagt Roth, während er mit seiner Hand eine Wespe vertreibt. Währenddessen Klein-David auf Dutzenden von Touristen-Bildern zu sehen ist, sucht man seinen Kopf vergeblich auf Wahlkampf-Goodies wie Willisauer-Ringli oder Bieruntersetzern.

Roth bringt lieber politische Inhalte auf den Tisch. «Nespresso-Kaffee zu verteilen, transportiert nicht so viel an Inhalt wie eine Pressekonferenz auf Grundlage eines Arbeitspapier zu Airbnb mit klaren, politischen Forderungen», sagt er bestimmt.

Damit war der SP-Mann kürzlich in aller Munde. Roth rollte ein Transparent mit den Worten «Kinderwagen statt Rollkoffer – Stopp Airbnb» über den Balkon einer gemieteten Airbnb-Wohnung. Solche Wohnungen würden Wohnraum zerstören und zu Steuerausfällen führen, monierte er mit seinem Parteikollegen Cyrill Studer (zentralplus berichtete). Auch so lässt sich Wahlkampf betreiben.

Jassen und Tschutten

Die bösen Stimmen, dass die Linken keine Büezer seien, sollten verstummen: Seit Roth 14 Jahre alt ist, arbeitet er. Zuerst als Werbeverträger, noch während des Kurzzeitgymnasiums begann er mit 16 Jahren als Redaktor und Moderator beim Luzerner Jugendradio «3fach», später arbeitete er in einem Kulturzentrum als Projektleiter.

Parallel studierte er Zeitgeschichte und Philosophie an der Universität Fribourg. Durchgezogen hat er es aber nicht. «Irgendwann wurde die Arbeit einfach interessanter als das Studium», so Roth. Missen wolle er es dennoch nicht.

Heute ist Roth Zentralsekretär bei der Gewerkschaft syndicom, führt Lohnverhandlungen durch und handelt Gesamtarbeitsverträge aus. In seiner Freizeit jasst er gerne, singt in einem Chor oder trifft sich mit Freunden beim Fussballspiel. Und hätte er an diesem Mittwoch, als wir ihn treffen, nicht Fraktionssitzung gehabt, hätte er freigenommen und wäre wohl in die Berge gegangen.

In politischen Zwängen gefangen

Seit 18 Jahren engagiert sich Roth politisch. Als Knabe im Kinderparlament tätig, kam er als Jugendlicher mit den Konsequenzen politischen Handelns in Berührung. Ein guter Freund von ihm wurde gemeinsam mit seinen Eltern zurück in den Kosovo geschickt. Roths Kollege wollte wieder in die Schweiz zurückkehren, doch das erwies sich als schwierig. «Es hat mir gezeigt, dass Menschen in politischen Entscheiden und Zwängen gefangen sind», sagt Roth. Es hat ihn dazu bewogen, etwas daran ändern zu wollen.

Die Arbeit vor Ort vermisst

Nun will Roth unter die Bundeskuppel. «Ich bringe Erfahrungen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene mit», sagt er. Politisieren mache ihm Spass – unabhängig davon, welches Amt er habe. Doch er gibt auch zu: «Als Juso-Präsident habe ich die Arbeit vor Ort vermisst. Mit den eigenen Leuten im unmittelbaren Umfeld Politik zu machen.»

«Als Juso-Präsident habe ich die Arbeit vor Ort vermisst.»

David Roth

Für ihn ist es kein Widerspruch, dass die SP immer mehr Frauen in der Politik fordert und dann mit ihm in den Ständerat ziehen möchte. «Mit Prisca Birrer-Heimo und mir stehen zwei Spitzenkandidaten für den National- und Ständerat an. Zudem sind fünf der neun SP-Nationalratskandidaten Frauen», hält er dagegen.

Luzern blieb aussen vor

Den Wahlen im Herbst schaut er entspannt entgegen. «Politik muss gute Resultate liefern. Und ich habe das Gefühl, dass sich das letztlich auch auszahlt.» So hofft er, dass sich der gewonnene Kampf der Luzerner SP gegenüber des Kantons ausbezahlt, was die Kürzungen bei den Prämienverbilligungen anbelangte (zentralplus berichtete).

Insbesondere wünscht sich Roth jedoch eines: Einen Ständerat, in dem sowohl der linke als auch der rechte Flügel vertreten ist. Der Kanton Luzern leide unter der «enorm einseitigen» Vertretung im Ständerat, kritisiert Roth: «Der Kanton Luzern hat wenig Einfluss in Bern und kann seine Interessen nicht durchsetzen. Während andere Kantone ihre Infrastrukturprojekte durchsetzen können, wurde Luzern in den letzten Jahrzehnten abgehängt. Wir haben eine Bahnlinie, in der kein einziger zusätzlicher Zug fahren kann – weil man seitens Bundesebene nichts investiert hat.» Etwa beim Durchgangsbahnhof vermisst Roth die Entschlossenheit für eine rasche Umsetzung.

In Personalentwicklung miteinbeziehen

Im Rahmen der sich beschleunigenden Digitalisierung sieht Roht aber die Gefahr, dass ganze Bevölkerungsgruppen abgehängt werden. «Für unsere Gesellschaft, die Wirtschaft, aber auch für jede einzelne Person ist es enorm wichtig, dass wir das verhindern.»

Doch wie will er das erreichen? Roth erzählt von seiner Arbeit, von bald abgeschlossenen Sozialplanverhandlungen bei der Post. «Durch die Digitalisierung fallen ganze Jobprofile weg. Bevor es so weit kommt, muss Jahre zuvor etwas geschehen.»

Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeitenden in der Personalentwicklung miteinbeziehen. Klar kommunizieren, was der Arbeitgeber an Fähigkeiten benötigt und wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kompetenzen im Laufe der zunehmenden Digitalisierung selbstbestimmt verändern können.

Interessen der Arbeiter höher gewichtet

Der 34-Jährige möchte sich in Bundesbern zudem für Lohngleichheit und einen stärkeren Lohnschutz einsetzen. Aber auch für tiefere Ausgaben für Prämien und Mieten.

«Wer eine aussenpolitische Öffnung ohne Lohnschutz anstrebt, ist Totengräber der offenen Schweiz.»

David Roth

Das Rahmenabkommen in seiner heutigen Version bedrohe die Löhne der Arbeiter, so Roth: «Wer eine aussenpolitische Öffnung ohne Lohnschutz anstrebt, ist Totengräber der offenen Schweiz. Denn dann werden sich die Arbeitnehmenden zurecht vom Kurs der Öffnung verabschieden. Die Anliegen der Normalverdienenden müssen hier im Zentrum stehen.»

Für ihn sind die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter am höchsten zu gewichten. Der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten um eine Stunde hat Roth nur zugestimmt, weil im Gegenzug ein Abendverkauf abgeschafft wird. Und auch dem hat Roth ohne Begeisterung zugestimmt: «Eine Liberalisierung führt nicht zu mehr Arbeitsplätzen», sagt er bestimmt. Die kleinen Läden könnten es sich nicht leisten, würden von den grösseren verdrängt werden. Längere Ladenöffnungszeiten würden dazu führen, dass Angestellte zu jeder Tageszeit einsatzbereit sein müssten und jede Woche einen neuen Schichtplan erhalten würden.

«Die Planbarkeit der Arbeit der einen hat für mich einen höheren Stellenwert als die Gestaltung der Freizeit der anderen.» Damit musste er auch Kritik aus der eigenen Partei einstecken. «Ich weiss, dass mir damit nicht die grössten Sympathien entgegenfliegen und ich der urbanen Bevölkerung damit nicht aus der Seele spreche.»

Juso-Präsidium als Sprungbrett?

Bereits 2011 und 2015 kandidierte Roth für den Nationalrat – erfolglos. Ein Blick in die Lebensläufe anderer Juso-Präsidenten zeigt aber, dass seine Vorgänger und Nachfolger das Juso-Präsidium als Sprungbrett nach Bundesbern nutzten.

Roth selbst war 2011 bis 2014 Präsident der Juso Schweiz. Cédric Wermuth und Fabian Molina sitzen beide in der Grossen Kammer. Auch die jüngst abgetretene Juso-Präsidentin Tamara Funiciello will ihre Karriere unter der Bundeskuppel fortsetzen. Ihre Chancen stehen gut.

Roth muss nicht lange nach den Gründen suchen, weshalb ihm der Sprung bislang nicht gelang: Für den Kanton Aargau sassen bei der Wahl Wermuths drei SP-ler in der grossen Kammer, für Bern derzeit sechs und für Zürich acht. Mit Prisca Birrer-Heimo hat die Luzerner SP lediglich eine Vertreterin im Nationalrat.

Einstiger Traumberuf: Pensionierter

Roth möchte sich nicht in etwas verkrallen, lebt sein Leben intuitiv. Ein umtriebiger Mann, in Anbetracht des früheren Berufswunsches Roths: «In der Sekundarstufe wurde ich gefragt, was ich denn mal werden möchte. Ich habe mir das Pensioniert-Sein immer als sehr angenehm vorgestellt und wollte wohl auch etwas provozieren mit der Antwort.»

Nach wie vor findet er das erstrebenswert. Nur schon des Alters wegen. «Aber ich würde schon sagen: Es ist sinnvoll, auch davor etwas zu machen.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Markus Schwarz
    Markus Schwarz, 17.09.2019, 23:27 Uhr

    Interessantes Interview, merci.
    David Roth scheint ein integrer, aufrechter junger Mensch zu sein, welcher sich nicht für Grosskonzerne, Reiche und geldstarke Lobbys, sondern für die Anliegen der breiten Bevölkerung einsetzt.
    Es braucht deringend mehr solche Menschen wie ihn im Stöckli, welche nicht konservativ, reaktionär und engstirnig mit dem Portmonnaie denken, sondern welche den Blick weiter schwenken können und sich für Gerechtigkeit und friedliches Zusammenleben der Menschen einsetzen.

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